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Die Wurzeln Europas in der Spätantike und im Mittelalter |
By Prof. Dr. Odilo Engels, University of Cologne,
GERMANY, 1997
Contribution to the
EDUVINET "European
Identity" subject
Europa läßt sich nicht wie Amerika oder Afrika leicht geographisch definieren, denn es erscheint wie ein westliches Anhängsel an die riesige Landmasse Asiens, die deswegen auch manchmal Eurasien genannt wird. Schon die Griechen aus deren Mythologie der Name Europa stammt gaben keine Antwort auf die Frage, welches denn die Grenzen Europas im Osten seien. Deswegen kann die Frage, was Europa denn eigentlich ist, nur historisch beantwortet werden. Und auch das gelingt bei näherer Betrachtung nicht einfach.
Man greift gerne zur Faustregel: Römertum, Germanentum und Christentum hätten Europa in seinen Anfangen geprägt. Dem muß man nicht widersprechen. Aber allein schon die Tatsache, daß das Christentum seine Wurzeln auf eine außereuropäische Welt zurückführt und in der Frühzeit seine Lehre in Kleinasien und Nordafrika ausformuliert hat, sollte etwas nachdenklich machen. Ähnlich bedenkenswert ist der Umstand, daß der slawische Anteil dem germanischen in der Ausbildung Europas nicht sonderlich nachsteht und das überlieferte Bild von der Völkerwanderung als zu eng und der Sicht des Westens zu sehr verhaftet kennzeichnet.
Ich selbst bevorzuge in meiner Vorstellungswelt Differenzierungen bis hin zu Unterschieden von folgenreicher Tragweite. Zählen wir einige auf: Das Mittelmeer, das "mare nostrum" der Römer, war ein geschlossener Wirtschafts und Kulturraum, bis die Ausbreitung des Islam im 7. und 8. Jh. den Raum von 0st nach West durchschnitt; seine Südküste von Syrien bis zum Maghreb, besetzt mit vielerlei Kulturzentren, war abrupt abgenabelt, zumal die nördlichen Anrainer des Mittelmeeres der sarazenischen Schiffahrt nicht gewachsen war und ein kultureller Austausch zwischen Süd und Nord so gut wie nicht stattfand.
Zu diesem Zeitpunkt war der Zerfall des Römischen Reiches in eine östliche und westliche Hälfte bereits vollzogen. Es wäre zu vordergründig, in den Teilungen des Imperiums des 3. und 4. Jh. nur Maßnahmen mit dem Ziel einer effektiveren Verwaltung zu sehen. Die westliche Hälfte vielmehr dachte stadtrömisch, d.h., die Struktur des Reiches blieb in ihren Augen ein Stadtstaat, wenn auch mit einer riesigen Fläche, deswegen bis weit in die Spätantike dort auch der aus der vorkaiserlichen Zeit stammende Senat dominierte. In der östlichen Hälfte dominierte demgegenüber der Prinzipat, die Person des Kaisers, die eine göttliche Verehrung genoß und eine staatstragende Funktion besaß. Überlagerten sich die Vorstellungen ursprünglich gegenseitig, so klärten sich die Fronten um 330 durch den Residenzwechsel Konstantins des Gr. von Rom in die nova Roma am Bosporus. Der Vorrang des alten Rom und seines Senats sollte entwertet werden zugunsten einer Vorstellung, die von einem riesigen Einheitsstaat mit einem einzigen Herrscher an der Spitze ausging, der die Existenz des nunmehr einen Gottes im Himmel die Alleinherrschaft des einen Herrschers auf Erden widerspiegele. [Quelle: Konstantin, Eingreifen des Kaisers 324 n.Chr. ]
Nach diesem ersten Schritt, der zur Entfremdung zwischen 0st und West führte, tat der Westen den zweiten Schritt. Nach der vorübergehenden Eroberung der Stadt Rom im Jahre 410 schrieb Augustinus das Buch "De civitate Dei". Es war ein Versuch, die noch aus der heidnischen Vorstellungswelt stammende Identität von weltlicher Herrschaft und Religion prinzipiell zu trennen. Die damaligen Zeitgenossen betrachteten das Römische Reich als das letzte der vier Weltreiche, die aufeinander gefolgt waren; es sei die höchste Steigerung der Zivilisation, gehe es unter, dann könne es nur noch das Chaos des Weltendes geben. Augustinus verneinte den Wert des Römertums nicht, aber räumte mit der Identität von Christentum und Römertum radikal auf. Die Christen lebten zwar im Römischen Reich und seien als Bürger auch seine Glieder, aber das Schicksal des rein diesseitig bestimmten Reiches berühre die jenseits bestimmte Orientierung des Christen nicht. [ Quelle: Augustinus, De civitate Dei ]
Augustinus hatte damit den Weg für die kommenden Generationen im Westen bereitet, die Vielzahl der Germanenreiche anstelle des im Westen untergegangenen Reiches der Römer zu akzeptieren und die Kirche als eine mehrere Völker umspannende Institution zu begreifen. Diesen Schritt hat der Osten niemals nachvollzogen. Für ihn war das Byzantinische Reich das verkleinert fortlebende Römische Reich. Man hatte es nicht nötig, über das Verhältnis von religiöser und politischer Ordnung nachzudenken. Der Basileus war nach dem Vorbild des Mose der Führer des Gottesvolkes. Ob er damit in der Kirche und nicht über der Kirche stand, wie der Westen es für den Herrscher festlegte, darüber spekulierte man im Osten nicht. Insofern gab es auch keinen, wie es fälschlich oft heißt, Caesaropapismus, aber auch keinen Dualismus, wie er dem Westen geläufig ist. Solches nicht ergründen zu wollen, verbirgt sich hinter dem pauschalen Vorwurf der Ostkirche von der "lateinischen Sünde" des Westens. D.h. rational alles sezieren zu wollen, was letztlich doch ein Geheimnis bleibt und als solches auch respektiert werden sollte.
Der Westen also tendierte zur logischkonsequenten Fortentwicklung von gedanklichen Ansätzen, die bis zu einer auch rechtlichen Ausformulierung führten. Es war nicht nur die seit dem 4.Jh. bedrohte Vorrangstellung des alten Rom und das im weiteren Verlauf der Spätantike sich als unumkehrbar abzeichnende Ergebnis der Völkerwanderung, sondern auch die von seiten des oströmischen Kaisers offen gelassene Frage der Kompetenz in geistliche Angelegenheiten, die zur Ausfaltung des päpstlichen Primates führte. Bezeichnenderweise war es nicht etwa der Kaiser, sondern der Papst, der erklärte, die Welt werde von einer höchsten geistlichen und einer höchsten weltlichen Spitze geleitet; der eine könne nicht die Funktionen des anderen übernehmen. Der Gewaltendualismus war nicht nur eine Frage der globalen Ordnung oder gar eines nur auskömmlichen modus vivendi, sondern dahinter stand die Frage nach der Legitimation; jedenfalls stellte sich das im zeitweise heftigen Widereinander der folgenden Jahrhunderte heraus. [Quelle: Synode von Worms ] . Sein Recht zur kaiserlichen Herrschaft führte beispielsweise Heinrich IV. im 11. Jh. auf ein Mandat Gottes zurück, das er sinnbildlich durch Krönung und Salbung erhalten habe [ Quelle: Heinrich IV., Brief vom 27. März 1076 ]. Das Imperium des Mittelalters sah sich religiös fundiert, so wie der heidnische Stadtstaat der Antike die Berechtigung seiner Existenz auf die nur ihm zugehörige Gottheit zurückgeführt hatte, als deren Emanation der Herrscher dieser Stadt hatte gelten können. Das Papsttum bestritt dem Kaiser das göttliche Mandat nicht, aber es beanspruchte die dem Priester aufgetragene Auslegung der Normen, die jeder Regierungshandlung zugrunde liegen müßten [ Quelle: Dictatus papae von 1075 ]. Zu einer Lösung kam es erst nach der Mitte des 12., letztlich sogar erst am Ende des 13. Jh., als die französischen Legisten feststellten, daß jede weltliche Herrschaft rein innerweltlich begründet werden könne. Dies war nur möglich dank der Rezeption der Staatsphilosophie des Aristoteles, der jede politische Ordnung, gleich wie sie strukturiert sei, auf das Bedürfnis der menschlichen Natur nach einer Ordnung zurückgeführt hatte. Aristoteles war ein Philosoph der griechischen Antike gewesen, dennoch nahmen die Byzantiner des Mittelalters keine Notiz von ihm; und auch der Islam, obwohl er partiell die Schriften des Aristoteles dem Westen überliefert hatte, zeigte sich zu solchen Schlußfolgerungen nicht in der Lage. War infolgedessen der Monarch keine in jeder Hinsicht von Gott berufene Autorität mehr, dann war es bis zur Vorstellung von der Volkssouveränität kein weiter Schritt; und in der Tat, er wurde im 14. Jh. durch Marsilius von Padua und Wilhelm von Ockham getan.
Ich könnte noch weitere Stränge aufzeigen, doch soll es bei diesem einen Beispiel bleiben. Statt dessen fassen wir zusammen, daß das Hochmittelalter manches an Grundvorstellungen auf den Weg gebracht hat, dieses allerdings nirgendwo zu Ende gedacht hat, sondern als Torso einer späteren Epoche zur Aufarbeitung zurückließ. Diese Aufarbeitung blieb der Aufklärung vorbehalten, einer zunächst auf das Praktische gerichteten Bewegung, der schon von daher eine überlebte Tradition und lästige Autorität im Wege stand. Sodann ging auch die gemäßigte Aufklärung weit über das hinaus, was die Renaissance mit dem vernunftbegabten Menschen meinte. Die menschliche Erkenntnis und Urteilsfähigkeit wurde nun zum einzigen Handlungskriterium erhoben. Die Theologie mußte ihren Vorrang an die Philosophie abtreten. Die Wissenschaften nahmen den Platz ein, den früher die Offenbarungswahrheiten eingenommen hatten. Obwohl man eine voraussetzungslose Wissenschaft treiben wollte, nahm man unbeabsichtigt Prämissen in Kauf. Der Glaube, mit der Wissenschaft einen Schlüssel für alle Lebensfragen zu besitzen, wies ihr eine Funktion zu, die früher die Theologie innegehabt hatte. Und in der Tat, man brachte ihr eine Verehrung entgegen, die eigentlich nur einer Heilslehre zukam. Die Wissenschaft entwickelte sich zu einer säkularisierten Heilslehre, ein Zustand, ohne den der Marxismus gar nicht zu dem hätte werden können, wozu er glaubte, berufen zu sein.
Es gibt wohl keinen Zweifel, daß wir uns heute immer noch in dieser Phase befinden. Allerdings zeichnen sich auch grundlegend neue Aspekte von langfristiger Dauer ab. Die Grausamkeiten, auch die nicht kriegsbedingten, die seit dem Ersten Weltkrieg durch extreme Regime begangen wurden, haben nach dem letzten Weltkrieg eine Wende hervorgerufen. Einmal ist die Achtung vor der Menschenwürde zu einer allgemein anerkannten Norm geworden. Oder der Krieg als eine Fortsetzung politischer Handlungsmaxime ist geächtet; statt dessen werden militärische Machtmittel zur Friedenssicherung bereit gehalten. Systeme, die ihren Anspruch bis zur absoluten Beherrschung, auch der Gesellschaft, getrieben haben (Bolschewismus, Nationalsozialismus), begegnet man mit Abscheu. Gleichzeitig ist ein Mißtrauen gegenüber wissenschaftlichen Erfolgen erwacht; es ist nicht nur die Angst von Unwissenden vor etwas, was sie nicht überschauen können, sondern auch ein geschärfter Blick für die Gefahr, nachteilige Folgen, wie Wissenschaftler selbst zugeben, nicht abschätzen zu können. Insgesamt gewinnt das Verständnis für ethische Prinzipien einen weit größeren Raum. Er reicht mittlerweile bis in Bereiche, die beispielsweise die Obergrenze machbarer Daseinsvorsorge betreffen; solches wird nicht allein als ein technisch handbares Problem begriffen, sondern auch als eine Frage fehlgeleiteter Lebenseinstellung.
Was ist nun Europa ? Die Antwort ist weder in einer räumlichen Abgrenzung eines Kontinents noch in einer bestimmten Staatsform sei es Staatenbund oder Bundesstaat, ob mit oder ohne Euro zu suchen. Vielmehr handelt es sich um ein in langer Erfahrung gewachsenes, bestimmtes Denken, dessen räumliche Außengrenzen völlig unscharf oder gar offen sind und bis weit nach Amerika oder tief nach Rußland reichen können; der in der Geschichte gewachsene Kern liegt jedenfalls im abendländischen Westen. Dieses Denken zeichnet sich durch stetiges Differenzieren aus. Das wiederum läßt Gegensätzliches, ja Widersprüchliches, sichtbar werden, schafft Spannungen, die wieder neue Kräfte freisetzen. Ein solches Denken wirkt wie ein unermüdlicher Motor und schafft Expansion. Diese Expansion erschöpfte sich zunächst in weltweitem Kolonialismus, heute bricht sie sich in globaler Wirtschaftsstrategie Bahn, vor der sich selbst China, ein uralter Kulturraum, nicht schützen kann. Folglich gibt es streng genommen kein Europa, sondern nur etwas Europäisches.
ODILO ENGELS ist emeritierter Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität zu Köln. Der oben wiedergegebene Beitrag wurde einem unveröffentlichten Manuskript des Autors entnommen. (Köln, 1997)
734 Eingreifen des Kaisers (324 n. Chr.)
Eusebios, Leben des Constantinus 2, 64 ff.
Constantinus Augustus, der Siegreiche, der Große an Alexander und
Arius.
Daß ich einen doppelten Grund gehabt, die Arbeiten auf mich zu
nehmen, die ich tatsächlich ausgeführt habe, dafür rufe ich
billigerweise den Helfer und Retter in meinen Unternehmungen, den Gott des
Weltalls, zum Zeugen an. 65. Fürs erste wollte ich aller Völker Sinnen
und Trachten, soweit es sich auf Gott hinrichtet, gleichförmig machen und
vereinen, dann aber den Körper des ganzen Erdkreises, der gleichsam an
einer schweren Wunde litt, erquicken und verbinden. Diese Ziele vor mir, schaute
ich auf das eine mit dem geheimen Auge der Erkenntnis, und das andere suchte ich
durch ein mächtiges Heer glücklich zu erreichen, in der Überzeugung,
wenn ich unter allen Dienern Gottes meinen Wünschen gemäß eine
allgemeine Eintracht herstellen könnte, würde auch die Verwaltung des
Staatswesens eine glückliche, der frommen Gesinnung aller entsprechende
Umwandlung erleben.
66. Als darum durch das Treiben von Männern, die durch ihren
unbesonnenen Leichtsinn die Religion des Volkes in verschiedene Sekten zu
spalten wagten, ein unerträglicher Wahn ganz Afrika ergriffen hatte 1),
habe ich kein anderes zweckdienlicheres Mittel Enden können, diese
Krankheit zu heilen, als . . . einige von euch hinzusenden, daß sie mithälfen,
die Eintracht zwischen den Streitenden wiederherzustellen.... 68. Welch tödliche
Wunde hat da mein Ohr oder vielmehr sogar mein Herz getroffen, da mir gemeldet
wurde, daß unter euch eine noch viel schwerere Spaltung entstehe als dort
[in Afrika] zurückgeblieben sei, so daß euer Land noch mehr der
Heilung bedürfe, das doch, wie ich hoffte, den andern Heilung bringen
sollte . . .! Darum in die Notwendigkeit versetzt, an euch diesen Brief zu
richten, schreibe ich an euren einträchtigen Scharfsinn, nachdem ich die göttliche
Vorsehung um Beistand bei diesem Werke angerufen habe, und stelle mich so, wie
es billig ist, gleichsam als Friedensbringer mitten hinein in den Streit, den
ihr miteinander habt . . . 69. Ich erfahre also, daß dies der Ursprung des
gegenwärtigen Streites gewesen ist. Als du, Alexander, deine Priester
fragtest, was wohl ein jeder von ihnen über eine gewisse Stelle in der
Heiligen Schrift oder vielmehr Über einen Überflüssigen Punkt der
Frage denke, hast du unüberlegt entgegengehalten, Arius, was du entweder
von Anfang an nicht denken oder doch wenigstens hättest totschweigen
sollen; so wurde unter euch die Zwietracht angefacht. . . und das heilige Volk,
in zwei Parteien gespalten, aus der Gemeinschaft des Leibes losgerissen. Darum
soll ein jeder von euch in gleicher Weise dem andern Verzeihung gewähren
und das annehmen, was euch euer Mitknecht 2) mit vollem Rechte rät. Was ist
aber dies? Man hätte weder von Anfang an Über solche Dinge fragen noch
auch auf die Frage eine Antwort geben sollen; denn wenn auch solche Fragen, zu
denen keine Vorschrift eines Gesetzes zwingt, sondern nur die Streitsucht unnützen
Nichtstuns verleitet, aufgestellt werden können, daß die Geisteskraft
daran geübt werde, so müssen wir sie doch im Innern unseres Herzens
verschließen und dürfen sie nicht leichthin in öffentliche
Versammlungen bringen oder unbedachtsam den Ohren des Volkes anvertrauen. Denn
wie wenige gibt es, die imstande wären, die Tragweite so bedeutender und überaus
schwieriger Fragen genau zu Überschauen oder entsprechend darzulegen? Und
selbst wenn man wirklich von einem glauben dürfte, er bringe das leicht
fertig, welch geringen Teil des Volkes wird er dann Überzeugen? . . . [Nach
J. Pfättisch, BKV, Bd. 9]
Das höchste Gut des Gottesstaates ist der ewige vollkommene Friede. Das
ist nicht der Friede, den zwischen Geburt und Grab die Sterblichen
durchschreiten; das ist der Friede, in welchem über alles Leid erhaben die
Unsterblichen verharren. [...]
Dieser himmlische Staat beruft in seiner irdischen Pilgerschaft aus allen Völkern
seine Bürger und sammelt seine Pilgergemeinde aus allen Sprachen, unbekümmert
um alle Unterschiede in den Sitten, Gesetzen und Einrichtungen, die der Begründung
oder Erhaltung des irdischen Friedens dienen. Nichts davon schafft er ab oder
zerstört er, vielmehr bewahrt und befolgt er, was immer von Nation zu
Nation verschieden, aber doch auf das eine gleiche Ziel des irdischen Friedens
gerichtet ist, wofern es nur der Religion, die den einen höchsten wahren
Gott anbeten lehrt, nicht im Wege steht. So nutzt denn auch der himmlische Staat
auf dieser seiner Pilgerschaft den irdischen Frieden, er schützt und
betreibt den Zusammenklang der menschlichen Willen in den mit der sterblichen
Menschennatur verküpften Dingen, soweit es unbeschadet der Frömmigkeit
und Religion geschehen kann, und diese irdische Friedensordnung setzt er in
Beziehung mit der himmlischen.
Es berührt den Gottesstaat nicht im mindesten, welche Lebensweise und
Gebräuche ein jeglicher habe, der dem Glauben anhängt, durch den man
zu Gott gelangt wenn anders diese Sitten und Gebräuche nicht gegen
die göttlichen Gebote sind. Darum zwingt er auch selbst die Philosophen
nicht, wenn sie Christen werden, ihr Gewand oder gewohntes Leben, die der
Religion nicht hinderlich sind, zu ändern, sondern bloß ihre falschen
Lehren. [Joseph Bernhart]
Während also dieser himmlische Staat auf Erden pilgert, beruft er aus allen Völkern seine Bürger und sammelt aus allen Zungen seine Pilgergemeinde. Er fragt nichts nach Unterschieden in Sitten, Gesetzen und Einrichtungen, wodurch der irdische Friede begründet oder aufrechterhalten wird, lehnt oder schafft nichts davon ab, bewahrt und befolgt es vielmehr, mag es auch in den verschiedenen Völkern verschieden sein, da alles ein und demselben Ziele irdischen Friedens dient. Nur darf es die Religion, die den einen und höchsten und wahren Gott zu verehren lehrt, nicht hindern. So benutzt auch der himmlische Staat während seiner Erdenpilgerschaft den irdischen Frieden, sichert und befördert in allen Angelegenheiten, die die sterbliche Natur der Menschen betreffen, die menschliche Willensübereinstimmung, soweit es unbeschadet der Frömmigkeit und Religion möglich ist, und stellt diesen irdischen Frieden in den Dienst des himmlischen Friedens. Denn der allein ist in Wahrheit Friede..
Diktat des Papstes.
[W. Lautemann]
274 Synode von Worms. Heinrich IV. an Hildebrand, 24. Januar 1076
Die Briefe Heinrichs Nr. 11, S. 62ff.
Heinrich, von Gottes Gnaden König, an Hildebrand.
Während ich bisher das von dir erwartete, was dem Verhalten eines
Vaters entspricht, und dir in allem zur großen Entrüstung unserer
Getreuen gehorchte, habe ich von dir eine Vergeltung erfahren, wie sie nur von
jemandem zu gewärtigen war, der der verderblichste Feind unseres Lebens und
unserer Herrschaft ist. Denn nachdem du mir zunächst die gesamte erbliche Würde,
die mir jener Stuhl schuldet, in vermessenem Beginnen entrissen hattest, gingst
du noch weiter und versuchtest, mir das italienische Reich durch die schlimmsten
Machenschaften zu entfremden 1). Und auch damit nicht zufrieden, hast du dich
nicht gescheut, an die verehrungswürdigen Bischöfe Hand anzulegen, die
als die liebsten Glieder mit uns vereint sind, und gegen göttliches und
menschliches Recht hast du sie, wie sie selbst sagen, mit den hochmütigsten
Beleidigungen und den bittersten Schmähungen traktiert. Da ich alles mit
einiger Geduld hingehen ließ, hieltest du dies nicht für Geduld,
sondern für Feigheit und wagtest es, dich gegen das Haupt selbst zu erheben
und ließest verbreiten, was dir ja bekannt ist, nämlich um deine
eigenen Worte zu gebrauchen-daß du entweder sterben oder mir Seele und
Herrschaft nehmen wollest 2).
Diese unerhörte Verhöhnung glaubte ich nicht mit Worten, sondern
durch die Tat zurückweisen zu müssen, und ich hielt einen Hoftag mit
allen Fürsten des Reiches auf deren eigene Bitten hin ab. Sobald das an die
Öffentlichkeit gebracht wurde, was man bisher aus Scham und Ehrfurcht
verschwiegen hatte, da wurde auf Grund der wahrheitsgetreuen Darlegungen dieser
Fürsten verkündet du kannst sie aus ihrem eigenen Schreiben
entnehmen-, daß du auf keinen Fall mehr auf dem apostolischen Stuhl
bleiben kannst. Da ihr Spruch vor Gott und den Menschen gerecht und
billigenswert schien, stimmte auch ich zu und spreche dir jedes Recht, das du
bisher am Papsttum zu haben schienst, ab; auf Grund des Patriziats über die
Stadt Rom, der mir als von Gott gewährt und infolge der beschworenen
Zustimmung der Römer zusteht 3), befehle ich dir, von ihrem Thron
herabzusteigen. [F.J. Schmale]
275 Synode von Worms. Schreiben Heinrichs IV. an die Römer, 24. Januar 1076
Briefe, Nr. 10, S. 60
Heinrich, durch die Gnade Gottes König, entbietet dem gesamten Klerus
und dem Volk der heiligen römischen Kirche seine Huld, seinen Gruß
und alles Gute.
Diejenige Treue gilt als fest und unerschüttert, die immer und in
gleicher Weise dem Anwesenden wie dem Abwesenden bewahrt wird und die sich weder
infolge der langen Abwesenheit dessen, dem sie geschuldet wird, noch aus Überdruß
infolge der langen Zeit ändert. Daß ihr sie uns solchermaßen
bewahrt, wissen und danken wir, und daß sie Bestand habe, bitten wir; nämlich
daß ihr, so wie ihr es bereits haltet, immerdar unseren Freunden Freunde
seid und unseren Feinden Feinde. Unter diese rechnen wir auch den Mönch
Hildebrand, gegen den wir euch zur Feindschaft aufrufen, weil wir ihn als
Eindringling in die Kirche, als ihren Bedrücker, als den hinterhältigen
Feind des römischen Gemeinwesens und unseres Reiches erkennen, wie aus dem
folgenden Brief, den wir an ihn richteten, leicht zu erkennen ist.
[Hier folgt nun Brief Stück 274]
Dies der Wortlaut unseres Briefes an den Mönch Hildebrand. Wir haben
ihn deshalb auch euch mitgeteilt, damit euch unser Wille und uns, vielmehr Gott
und uns, eure Liebe kund werde. Erhebt euch also gegen ihn, Getreueste, und der
erste in der Treue sei der erste, der ihn verdammt. Wir sagen aber nicht, daß
ihr sein Blut vergießen sollt, da ja das Leben nach der Absetzung für
ihn eine größere Strafe ist als der Tod; vielmehr sollt ihr ihn,
falls er nicht abdanken will, dazu zwingen und einen anderen zum Papst annehmen,
der nach dem gemeinsamen Rat aller Kardinalbischöfe und eurem Rat von uns
erwählt wurde und der alle Wunden heilen will und kann, die jener in der
Kirche schlug. [F.J. Schmale]
276 Steige herab. . . 27. März 1076
Briefe, Nr. 12, S. 64ff.
Heinrich nicht durch Anmaßung, sondern durch Gottes gerechte Anordnung
König, an Hildebrand, nicht mehr den Papst, sondern den falschen Mönch.
Diese Anrede hast du nämlich für die von dir angerichtete
Verwirrung verdient, der du keinen Stand der Kirche davon ausgenommen hast, ihn
der Verwirrung statt der gebührenden Stellung, des Fluchs statt des Segens
teilhaftig zu machen.
Um nämlich aus vielem nur einiges Wenige und Wichtige zur Sprache zu
bringen: Du scheutest dich nicht nur nicht, die Lenker der heiligen Kirche, nämlich
Erzbischöfe, Bischöfe und Priester, die doch Gesalbte des Herrn sind,
anzutasten, nein, wie Knechte, die nicht wissen, was ihr Herr tut, zertratest du
sie unter deinen Füßen und gewannst dir dabei die Zustimmung aus dem
Munde des Pöbels. Sie alle erachtest du als unwissend, dich allein aber als
allwissend; doch dieses Wissen bemühtest du dich nicht zum Aufbau, sondern
zur Zerstörung zu verwenden. Daher glauben wir mit Recht, der heilige
Gregor, dessen Namen du dir angemaßt hast, habe dies von dir prophezeit,
als er sprach: "Infolge der Menge der Untergebenen wird der Geist der
Vorgesetzten häufig hochfahrend und meint, er wisse mehr als alle, wenn er
sieht, daß er mehr als alle vermag."
Und wir haben dies alles ertragen, während wir uns bemühten, die
Stellung des apostolischen Stuhles zu wahren. Aber du hast unsere Demut für
Furcht gehalten und dich daher nicht gescheut, dich sogar gegen die uns von Gott
verliehene königliche Gewalt zu erheben; du hast zu drohen gewagt, du würdest
sie uns nehmen, als ob wir von dir das Königtum empfangen hätten, als
ob in deiner und nicht in Gottes Hand Königs- und Kaiserherrschaft lägen.
Dieser unser Herr Jesus Christus hat uns zum Königtum, dich aber nicht zur
geistlichen Herrschaft berufen. Du nämlich bist auf folgenden Stufen
emporgestiegen: durch List -was das Mönchsgelübde verabscheut
bist du zu Geld gekommen, durch Geld zu Gunst, durch Gunst zum Schwert, durch
das Schwert zum Sitze des Friedens, und vom Sitz des Friedens aus hast du den
Frieden gestört; die Untergebenen hast du gegen die Vorgesetzten bewaffnet,
unsere Bischöfe, die Gott berief, hast du, der Unberufene, zu verachten
gelehrt, ihre Amtsgewalt über die Priester hast du den Laien widerrechtlich
übereignet, so daß diese Laien nun diejenigen absetzen und
verurteilen, die ihrerseits die Laien aus der Hand Gottes durch Handauflegung
der Bischöfe empfangen hatten, um sie zu belehren.
Auch mich, der ich,-wenn auch unwürdig unter Gesalbten zum Königtum
gesalbt worden bin, hast du angetastet, mich, von dem die Überlieferung der
heiligen Väter lehrt, daß ich nur von Gott gerichtet werden darf, und
versichert, daß ich wegen keines Verbrechens abgesetzt werden darf, ich
wiche denn vom Glauben ab, was ferne sei. Denn sogar den Julianus Apostata
unterstellten die heiligen Bischöfe in ihrer Klugheit nicht dem eigenen
Urteil, sondern überließen ihn Gott zur Verurteilung und Absetzung.
Selbst der wahre Papst, der heilige Petrus, ruft aus: "Fürchtet Gott
und ehret den König"; du aber entehrst mich, weil du Gott, der mich
eingesetzt hat, nicht fürchtest.
Daher nahm der heilige Petrus an der Stelle, an der er selbst den Engel vom
Himmel, falls dieser etwas anderes verkündete, nicht schonte, auch dich
nicht aus, der auf Erden etwas anderes lehrt. Er sagt nämlich 1): "Wenn
irgendeiner, ich oder ein Engel vom Himmel, euch eine anderes Evangelium verkündete,
als wir verkündigt haben, dann sei er verflucht." So steige du denn,
der du durch diesen Fluch und das Urteil aller unserer Bischöfe und unser
eigenes verdammt bist, herab, verlasse den apostolischen Stuhl, den du dir
angemaßt hast. Ein anderer steige auf den Thron des heiligen Petrus,
einer, der Gewalttat nicht mit Frömmigkeit bemäntelt, sondern die
reine Lehre des heiligen Petrus lehrt. Ich, Heinrich, durch die Gnade Gottes König,
sage dir zusammen mit allen meinen Bischöfen: Steige herab, steige herab !
1) [F.J. Schmale]
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