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Europäische Identität - Ein Unterrichtsprojekt


English translation, French translation, Spanish translation, Italian translation




By Edmund Ohlendorf of IWB Radolfzell e.V., GERMANY, 1997

Contribution to the EDUVINET "European Identity" subject







I. Was ist das Ziel?

Das Europäische Parlament hatte schon 1984 die Forderung formuliert "einen Rahmen zu schaffen, der den Bürgern zum Bewußtsein einer eigenen Identität der Union verhilft". Und im Artikel 126 des Maastrichter Vertrages von 1992 wurde - unter anderen - folgendes Ziel zur Gemeinschaftsaufgabe erklärt:

"Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen ..."

Die folgenden Überlegungen versuchen, durch offenes Lehren und Lernen zur Bildung einer europäischen Identität beizutragen.

Ist das Ziel sinnvoll?

Die wesentlichen Überlegungen hierzu finden sich in meinem Artikel "Europäische Identität als ein Lehr- und Lerngegenstand". Deswegen möchte ich mich hier auf drei Gründe beschränken, die mir das Projekt sinnvoll erscheinen lassen:

  1. Wenn Europa als eine Gemeinschaft verschiedener Völker oder als gemeinsam handelnde Union überleben will, müssen sich ihre Einwohner mit bestimmten Werten identifizieren (Minimalkonsens).
  2. Der historisch-politische Unterricht hat in der Vergangenheit sehr zur Identitäts- und Solidaritätsbildung innerhalb der einzelnen europäischen Völker beigetragen, aber er hat zwei Weltkriege innerhalb eines halben Jahrhunderts nicht verhindern können, d.h., die historisch-politische Bildung muß ihre vorwiegend nationale Ausrichtung fortan mehr an einem europäischen und globalen Rahmen orientieren (Transnationaler/globaler Blickwinkel).
  3. Der Versuch, historisches Lehren und Lernen allein an der chronologischen Abfolge von Geschehnissen zu orientieren, ist sehr zeitaufwendig und führt nicht zu Einsichten in Zusammenhänge. Auch in diesem Kontext ist das Ziel sinnvoll, historisch-politische Bildung zu einem Teil um das Thema "Europäische Identität" zu konzentrieren (Projektunterricht).




II. Was stiftet Identität?

Im wesentlichen sind es wohl drei Elemente, die sich gegenseitig beeinflussen:

  1. Die Geburt, sie begründet die Bindung an eine Familie, Sippe oder ein Volk auch an einen konkreten geographischen Raum.
  2. Die Kultur, sie prägt durch ihre geistigen und emotionalen Erfahrungen Individuen und Gruppen.
  3. Die Akzeptanz gemeinsamer Werte schafft Wertegemeinschaften.

In der historisch politischen Bildung geht es in erster Linie um die beiden letzten Elemente, d.h. um die Fragen:




III. Wer ist die Zielgruppe, und welche Probleme sind damit verbunden?

Die Zielgruppe für den hier vorgestellten Unterricht sind Jugendliche, etwa ab einem Alter von 16 Jahren und Erwachsene.
Das größte Problem ist, daß die Bedeutung des Themas "Europäische Identität" für die meisten Jugendlichen und auch für viele Erwachsene nicht sogleich offenkundig ist, da sie nicht als existentiell notwendig erfahren wird. D.h., zunächst müssen den Jugendlichen bzw. Erwachsenen wesentliche Bedingungen unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Lage erläutert werden, um mögliche Entwicklungen in der Zukunft besser abschätzen zu können. Dabei können eigene historische Erfahrungen nur sehr begrenzt einen Orientierungsrahmen liefern.




IV. Wie ist der Unterricht konzipiert?

Der Unterricht ist konzipiert als:

  1. internetunterstützter
  2. offener
  3. Projektunterricht


1. D.h., er bezieht seine Informationen weitgehend über das Internet, zunächst aus den Materialien und Diskussionsbeiträgen, die im Rahmen des EDUVINET-Projekts zusammengestellt wurden und darüber hinaus natürlich auch aus anderen Inhalten, die im Internet verfügbar sind.

2. Offener Unterricht bedeutet, daß sowohl alle didaktisch-methodischen Überlegungen der Autoren und auch ein Großteil der Unterrichtsinhalte und -materialien allgemein über das Internet zugänglich sind. Andere Kollegen/innen, Eltern oder Erwachsene, die sich fortbilden wollen, können an diesem Unterricht in begrenztem Umfang auch interaktiv teilnehmen, wenn sie ihre Fragen oder Kommentare auf einem entsprechenden Forum öffentlich oder über E-mail privat mitteilen. Dieser Gedankenaustausch ist auch grenzüberschreitend mühelos möglich, sofern ausreichende Sprachkenntnisse vorhanden sind.

3. Der Projektunterricht folgt inhaltlich nur teilweise den Linien, die in Lehrplänen für einzelne Fächer vorgesehen sind. Dafür bündelt er aber um zentrale Themen teilweise die Zeit, die im Stundenplan für verschiedene Fächer zur Verfügung steht: In diesem Falle für Datenverarbeitung, Geschichte, Politik und Fremdsprachen (fächerübergreifender Unterricht).




V. Was wurde unternommen, die Schüler zu motivieren?

Ohne konkreten Bezug zum täglichen Leben der Schüler oder der Erwachsenen ist es sehr schwer, durch historisches Lernen ihr Bewußtsein für gegenwärtige oder zukünftige Aufgaben zu schärfen.

Deswegen versuchte ich zu erklären, daß die Welt nach dem Verschwinden des eisernen Vorhangs in Europa nicht friedlicher und sicherer geworden sei und daß sich möglicherweise der frühere West-Ost-Gegensatz in einen Nord-Süd-Gegensatz verwandelt.

1990 wurde der Golfkrieg von Teilen der islamischen Bevölkerung am Südrand Europas als Neuauflage der Kreuzzüge empfunden.

1992 weigerten sich 32 % orthodox christliche Serben, mit 44 % islamischen Bosniern und 17 % katholischen Kroaten in einem gemeinsamen Staat zu leben. Ein dreijähriger Bürgerkrieg brach aus mit Tausenden von Toten, 2,5 Mio Vertriebenen und Flüchtlingen, von denen rd. 700 000 in anderen europäischen Staaten Zuflucht fanden, davon fast die Hälfte allein in Deutschland.

1994 rückten 40 000 Mann russischer Truppen in Tschetschenien ein und verhinderten in einem blutigen Krieg die Selbständigkeit eines Landes, dessen Bewohner sich überwiegend zum Islam bekennen.

Viele Konflikte, die aus innenpolitischen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Motiven in einzelnen Ländern Europas oder am Rande Europas bestehen, werden z.T. auch auf dem Boden von Nachbarländern ausgetragen.

So hat der sog. Mykonos-Prozeß in Berlin (1997) iranischen Staatsterror auf deutschem Boden aufgedeckt, der alle Mitgliedsländer der EU vor peinliche Entscheidungsfragen stellte. Anschläge kurdischer Nationalisten und deutscher rechtsradikaler Gruppen auf türkische Einrichtungen und Wohnungen in Deutschland bilden ein hochexplosives Gemisch. Auch in Frankreich bleibt die innenpolitische Szene nicht von dem unberührt, was in Algerien passiert.

Oder wie reagieren wir, wenn die türkische Regierung meint, nicht das Kurdenproblem oder die Zypernfrage seien der Haupthinderungsgrund für eine Mitgliedschaft in der EU, sondern in Wirklichkeit wolle der "Club der Christen" einen muslimischen Staat von der Größe der Türkei nicht in seiner Runde haben.

Konflikte in Nordirland wirken sich auf das tägliche Leben in England aus. Baskischer oder korsischer Terror weist auf ungelöste Regionalprobleme in Spanien und Frankreich hin. Italien und Griechenland sind besonders betroffen von dem, was in Albanien vorgeht, und Portugal hat Mühe, mit seinem afrikanischen Erbe fertigzuwerden.

Wie sollen wir uns zu all diesen Herausforderungen verhalten, die längst nicht mehr an den Grenzen einzelner Staaten halt machen. Sollen wir Europäer gemeinsam reagieren? Aber nach welchen Kriterien stimmen wir welcher Maßnahme zu, und was lehnen wir ab? Welche kulturellen Leistungen und welche ethisch politischen Werte sind wir bereit, zu verteidigen - nach innen wie nach außen?




VI. Was waren die Leitfragen oder Hypothesen für den Unterricht?

Nach den bisherigen Überlegungen (I bis V) habe ich für die inhaltliche Strukturierung des Unterrichts einen deduktiven Ansatz gewählt, d.h. allgemeine Merkmale oder Regeln werden durch Details bestätigt oder widerlegt.

Die folgenden 6 Merkmale sind eigentlich Hypothesen, von denen ich meine, daß sie zutreffen, aber meine Kollegen/innen, Schüler/innen oder Erwachsene, die an diesem Unterricht teilnehmen wollen, haben natürlich die Freiheit, diese Hypothesen zu verifizieren oder sie zu falsifizieren:

Welche Merkmale kennzeichnen die Europäer?

  1. Sie trennen Religion und Herrschaft (Staat).
    Wie ist es dazu gekommen?
  2. Sie üben Toleranz zwischen den Angehörigen verschiedener Konfessionen.
    Wie hat sich das entwickelt?
  3. Sie treten ein für persönliche und soziale Menschenrechte (Herrschaft des Rechts).
    Wie sind diese Rechte entstanden?
  4. Sie sind offen für eine pluralistische Bildung, Wissenschaft und Kultur.
    Wie kam es dazu? War das immer so?
  5. Sie schwanken zwischen Föderalismus und Nationalismus/Zentralismus.
    Wie entstanden beide Organisationsprinzipien?
  6. Sie sind Anhänger einer pluralistischen und parlamentarischen Demokratie.
    Wie kam es dazu?




VII. Wie wurde der Unterricht organisiert?

Entsprechend der 6 Merkmale, die (möglicherweise) für Europäer typisch sind, wurden 6 Arbeitsgruppen mit jeweils 4 Schülern/innen gebildet. In den ersten 10 Wochen stehen insgesamt 40 Schulstunden zur Verfügung, 2 Stunden für Datenverarbeitung (Internetnutzung) und 2 Stunden Geschichte/Politik pro Woche. Dazu kommen voraussichtlich noch einige Stunden aus dem Fremdsprachenunterricht. Im Moment ist der gesamte Zeitbedarf noch nicht abzusehen, da es bisher keine Erfahrungswerte gibt.

Ganz am Anfang steht auch noch der Erfahrungsaustausch zwischen Kollegen/innen in anderen Mitgliedsländern der EU, und es ist ebenso offen, inwieweit sie technisch und organisatorisch in der Lage sind, auch ihre Schüler/innen schon interaktiv in das Projekt mit einzubeziehen.




VIII. Welche Medien werden im Unterricht eingesetzt?

In erster Linie werden Informationen (Texte, Bilder und Graphiken) aus dem Internet entnommen. Falls sie dort (noch) nicht vorhanden sind oder in einer vernünftigen Zeit nicht gefunden werden können, werden den Schülern zusätzliche Textkopien oder historische Karten zur Verfügung gestellt, letztere sind auch als CD-ROM bereits auf dem Markt. In Zusammenarbeit mit dem Südwestfunk sollen auch Möglichkeiten eines Austausches von Unterrichtsmaterialien (Video-Bänder und Internet-Informationen) erprobt werden.




IX. Wie werden die Ergebnisse des Unterrichts dargestellt und überprüft?

Jede Schülerarbeitsgruppe muß ihre Arbeitsergebnisse auf zwei Folien zusammenfassen und den anderen Arbeitsgruppen erläutern. Inhalt und Art der Präsentation kann zur Benotung mit herangezogen werden.

In einem individuellen Test, der sich auf das gesamte Thema "Europäische Identität" bezieht, müssen die Schüler/innen nachweisen, zu welchen Einsichten sie während des Unterrichts gekommen sind. Ein solcher Test kann faktisches Wissen abfragen, sollte aber auch überprüfen, inwieweit die Schüler/innen in der Lage sind, ihr Wissen zur Analyse aktueller Probleme anzuwenden und auch mögliche Folgen politischen Handelns zu ermessen.

Technisch wäre es kein großes Problem, auch die Ergebnisse der Arbeitsgruppen auf dem Internet zugänglich zu machen und damit eine europäische Diskussion anzuregen. Aber bis dahin ist noch viel Arbeit zu leisten - fangen wir an - für eine bessere Zukunft.















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